European Circle im Interview mit Mohammad Moshiri

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Land der verlorenen Seelen

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Persien, der heutige Iran, ist ein Land mit einer langen, stolzen Geschichte. Die jüngere Geschichte Irans ist allerdings geprägt von Gewalt, Unterdrückung und Unrecht. Seit im Jahr 1979 Ayatollah Chomeini die “Islamische Republik Iran” begründete, befindet sich das Land praktisch dauerhaft im Ausnahmezustand. Nur wenn die Wellen von Gewalt und Gegengewalt wieder einmal höher schlagen, bekommen wir hier im Westen davon etwas mit. Aufklären über die Situation im heutigen Iran, das ist das Ziel des Schriftstellers und Menschenrechtsaktivisten Mohammad Moshiri. Mit European Circle sprach er über seinen neuen Roman: “Iran. Das Land der verlorenen Seelen.”

 

European Circle: Lassen Sie uns kurz in Ihr Buch eintauchen. Ein Mann besucht ein Flüchtlingslager in Deutschland, nahe an der polnischen Grenze. Er möchte dort iranische Flüchtlinge aufsuchen. Was ist die Aufgabe dieses Mannes?

Moshiri: Ich habe versucht, zu verhindern, dass diese Flüchtlinge aus Deutschland ausgewiesen werden. Damals war ich viel für Flüchtlinge aktiv.

 

European Circle: Der Ich-Erzähler, der dieses Flüchtlingsheim besucht, sind also Sie selbst.

Moshiri: Ja, das bin ich selbst, richtig.

European Circle: Der Ich-Erzähler in ihrem Buch lernt in dem Flüchtlingsheim einen jungen Mann kennen. Um dessen Geschichte geht es eigentlich in Ihrem Buch. Was hat dieser junge Mann erlebt und was erfahren wir über sein Leben?

Moshiri: Er hatte mir seine Geschichte drei Tage lang erzählt. Sie war sehr, sehr furchtbar. Und deshalb habe ich seine Geschichte für den Roman verwendet, den ich über diesen Mann geschrieben habe, um meinen Lesern klar zu machen, wer eigentlich diese Menschen sind.

European Circle: Dieser Mann ist also ein typischer iranischer Flüchtling? Eine Geschichte, wie sie auch andere Menschen erlebt haben könnten?

Moshiri: Richtig. Ihre Schicksale sind ähnlich. Sie haben oft mit Gewalt zu tun gehabt, mit Folter, Hinrichtungen und Unterdrückung. Und die Geschichte dieses Mannes war mir besonders wichtig, weil er seine Schwester in der Türkei verloren hatte. Seine Schwester war im Iran politisch aktiv und ist in die Türkei geflüchtet. Er suchte sie. Und deshalb hat er mehrere andere iranische Flüchtlinge in der Türkei kennengelernt. Und alle erzählen ihre eigene Geschichte. Das ist ein Buch über diesen Mann. Aber man liest im Roman auch über viele andere Flüchtlinge in der Türkei.

European Circle: Wie ist Ihre Geschichte verlaufen? Dreh- und Angelpunkt in der jüngeren Geschichte des Landes ist das Jahr 1979, wo die “Islamische Republik Iran” begründet wurde. Wie ist Ihre persönliche Geschichte davon beeinflusst worden?

Moshiri: Natürlich sehr stark. Ich war nie für Chomeini gewesen. Ich war ganz jung damals. Aber ich war als junger Schriftsteller ziemlich bekannt im Iran. Und ich habe mich sofort für Frauenrechte eingesetzt, weil ich mit meinen Augen gesehen habe, wie diese Fanatiker gegen Frauen vorgehen. Und wir wollten die Frauen verteidigen. Dann kam ich auf die “Schwarze Liste” und wurde selbst unterdrückt. Und deshalb haben diese Auseinandersetzungen direkt nach der sogenannten Revolution im Iran begonnen, weil Chomeini alle individuellen Rechte der Bevölkerung vernichten wollte. Und wir wollten uns gegen diese Vernichtung der Rechte einsetzen und Widerstand leisten.

European Circle: Nachdem die Revolution über die Bühne gegangen war, kam es also dazu, wozu es oft kommt. Erst folgen einem Revolutionsführer noch breite Schichten, aber wenn sich dann herausstellt, dass er mit Gewalt das eigene Volk unterdrückt und weite Bevölkerungsschichten ihrer Rechte beraubt, dann zeigt sich das wahre Gesicht eines solchen Regimes. Die Unterdrückung, die Ungerechtigkeiten dauern an bis heute. Sie haben 1979 das Land verlassen und sind jetzt hier. Wie setzen Sie sich von hier aus für Ihre im Iran verbliebenen Landsleute ein? Wie kann man das überhaupt tun?

Moshiri: Gott sei Dank sind Internet und Technik sehr hoch entwickelt. Man kann diese Technik benutzen, um mit der Bevölkerung dort Kontakt aufzunehmen. Und es gibt fünf Millionen Iraner als Flüchtlinge im Ausland. Sie haben sehr viel Kontakt mit der Bevölkerung im Iran. Das Regime wird nicht von der Bevölkerung unterstützt. Seit 1981 ist die Unterstützung des Regimes vorbei. Dieses Regime herrscht mit totaler Unterdrückung. Deshalb ist ganz klar, dass jede Möglichkeit für die iranische Bevölkerung wichtig ist, ihre Schreie für und nach Freiheit zu zeigen. Und ich versuche, diese Schreie zu Gehör zu bringen.

Dieses Buch ist auch ein Versuch, von diesen Schreien für und nach Freiheit zu berichten. Von den Männern und Frauen, die leiden. Man hört von 120.000 Hinrichtungen. Wer sind sie? Welche Menschen sind sie? Welche Familie, welche Gefühle haben sie? Wenn man das Schicksal eines Menschens kennt, fühlt, sieht, dann versteht man, wie die iranische Bevölkerung unter diesem religiösen Faschismus im Iran gelitten hat. Ich habe leider nicht die passenden Worte in Ihrer Sprache gefunden, um diese Schmerzen zu beschreiben. Aber ich möchte mehr Menschen erreichen und ihnen sagen, was für Menschen sie sind. Das ist für mich sehr wichtig.

European Circle: Die Geschichte des Landes, insbesondere in den letzten 31 Jahren, ist in der Tat sehr aufwühlend. Und auch eine sehr schwierige, eine sehr traurige Geschichte. Bei Ihrem Engagement wünsche ich Ihnen weiterhin viel Kraft für die Menschen im Iran.

Moshiri, Mohammad: Iran. Das Land der verlorenen Seelen. Mauer Verlag 2010, 156 Seiten, 14,80 Euro.